Im Radönt Tal
In der Nacht hat es geregnet. Um 6 Uhr morgens ist es trocken. Sogar die Sonne färbt den Himmel kurzzeitig orange und leuchtet das Schwarzhorn an. Nur 10 Minuten später sind im Süden dunkle Wolken aufgezogen. Ich koche Tee und esse Müsli zum Frühstück. Die Schafe kommen wieder den Berghang herab und diesmal trauen sie sich mit Sicherheitsabstand an meinem Zelt vorbei. Um 8 Uhr prüfe ich noch einmal den Wetterbericht. Bis zum Nachmittag soll es trocken bleiben und auch das Regenradar sieht gut aus. Damit steht die Route für heute fest: Ich werde über den Pass Fuorcla Radönt gehen und nicht östlich um den Piz Radönt durch das Val Grialetsch um die Grialetschhütte zu erreichen.
Von den Schafen neugierig beäugt packe ich mein Zelt ein. Sie halten Abstand, bis ich fertig bin und meine orange Windbreackerjacke anziehe. Im Nu bin ich von blökenden Schafen umringt, die eindeutig Leckerlis erwarten. Kleider machen Leute gilt also auch für Schafe. Sie merken allerdings schnell, dass da etwas nicht stimmt und es nichts gibt. Meine Befürchtung, dass sie mir folgen werden, bestätigt sich nicht und so kann ich problemlos meine Wanderung unter einem bedeckten Himmel beginnen. Vom See wandere ich das Rinnsal nach Westen entlang zurück zum rotweißen Bergwanderweg. Auf der anderen Talseite verläuft der direkte Wanderweg zum Schwarzhorn. Ich erspähe jemanden, der dort mit zügigen Schritten absteigt. Bei mir geht es langsamer voran. Es geht die ersten 60 Höhenmeter ganz schön aufwärts. Der Weg führt teilweise über gut zu begehende Felsen. Unter mir liegt der obere kleine See in der alpinen Auenlandschaft und leuchtet strahlend türkis.
Aufstieg zur Fuorcla Radönt
Nach dem ersten steilen Stück öffnet sich der Blick zum Piz Radönt. Eine riese Geröllwüste wird sichtbar. Der Wanderweg führt aber erst einmal am Hang entlang und ist auch auf den eingezeichneten Geröllstrecken gut zugehen. Ich scheuche ein paar Schafe auf, die sich hier oben auf den letzten Grassoden niedergelassen haben. Dann habe ich das Geröll erreicht. Irgendwo weiter oben gibt es noch eine Abzweigung zum Schwarzhorn. Und wie so häufig kann ich mir gar nicht vorstellen, wo es da langgehen kann. Trotz des Gerölls lässt es sich gut gehen.
Schließlich erreiche ich den Wegweiser zum Schwarzhorn auf 2716m. Nun ist es nur noch ein kleines Stück bis zum Pass Fuorcla Radönt. Dann bin ich oben auf 2785m. Vor mir liegen die 3000er Piz Arpschella, Piz Sarsura Pitschen, Piz Sarsura, Piz Vadret und den Piz Grialetsch mit dem Grialetsch-Gletscher. Zeit für eine Pause um die Aussicht zu genießen. Zumal sogar die Sonne herauskommt. Ich muss noch über ein Viehzaun steigen. Und suche mich ein windgeschütztes Plätzchen.
Ins Val Grialetsch hinab kann ich nicht schauen. Es liegt zu tief unter mir. Zwei kleine Seen befinden sich hier oben. Dort wo ich hin will ist blauer Himmel. Ein Blick auf die Karte zeigt mir das der Weg nun an der Südflanke des Piz Radönt entlang führt, quasi direkt auf den Piz Grialetsch zu. Größere Geröllstrecken sind eingezeichnet und diese sind auch schon zu sehen.
Hoch über den Val Grialetsch
Um halb 11 Uhr gehe ich weiter. Ich will heute bis zum Scalettapass und das ist noch ein Stückchen. Es dauert nicht lange und ich lande zwischen großen Felsbrocken. Vermutlich hat der Wanderer von gestern Nachmittag davon gesprochen. Ich kraxel zwischen den Blöcken herum. Einen guten Weg scheint es nicht zu geben, denn auch wenn ich eine Markierung finde, ist es nicht wirklich einfacher. Mit kurzen Beinen und schweren Rucksack ist es mühsam. Ich versuche die grobe Richtung zu halten und suche mir eine Route durchs Labyrinth. Dann werden die Felsblöcke kleiner. Ich hoffe, ich habe das Gröbste geschafft.
Rund 45 Minuten für 500 Meter ist echt ein Schneckentempo. Die Beine brauchen lieber eine Pause und ein kleines Stück Grass lädt zum Sitzen ein. Energie tanken, etwas trinken und die Sonne genießen. Weiter geht es. Ich bin keine 200 Meter gegangen, da kommt mir mit flotten Schritt eine junge Frau entgegen. Ich erkundige mich, ob es noch weitere Geröllfelder gibt. Sie stellt sich als Hüttenhilfe der Chamanna da Grialetsch heraus und hat nun wegen des kommenden schlechten Wetters zwei Tage frei. Irgendwo weiter unten gibt es einen alten Hüttenweg, der nicht mehr gewartet wird. Ich bleibe lieber auf der offiziellen Route und so große Felsblöcke muss ich nicht ein zweites Mal überwinden. Bevor sie sich auf den Weg über das Schwarzhorn zum Flüelapass macht, preist sie mir noch die frisch gebackene Fruchtwähe an. Ich bekomme Appetit.
Nächstes Ziel also die Chamanna da Grialetsch. Einmal kurz verfranze ich mich, dann kann ich um halb eins die Hütte im Tal das erste Mal sehen. Im 160 Meter Abstieg über die Wiesen schrecke ich eine paar Murmeltiere auf. Die Knie schmerzen als ich endlich auf den Wanderweg aus Dürrboden an der Fuorla da Grialetsch treffe. Ich setze mich auf die Terrasse und lasse mir in der Sonne eine Apfelwähe schmecken. Dazu trinke ich wieder einen alkoholfreien Apfelwein. Die Hütte ist ausgebucht, dabei hat es sogar noch freie Schlafplätze, aber der Speisesaal lässt nicht mehr Gäste zu.
Über die Fuorla da Grialetsch nach Dürrboden
Gegen 14 Uhr verlasse ich die Chamanna da Grialetsch und wandere ich weiter. Die ersten dunklen Wolken ziehen auf. Zurück zum Pass Fuorla da Grialetsch folge ich dem Weg Richtung Dürrboden. Schnell habe ich den Furggasee passiert. Auf der anderen Seite des Dischmatals thronen Chüealphorn, Augustenhüreli, Leidhorn, Bocktenhorn und Sattelhorn. Dunkle Wolken erzeugen eine düsternde Stimmung. Hinter dem Scalettahorn liegt mein Tagesziel, der Scalettapass. Am Furggabach entlang muss ich jedoch erst einmal ins Tal absteigen. Die Knie schmerzen und so komme ich langsamer voran als ich eigentlich will. Am Punkt 2240 zweigt ein Weg nach Seeböden ab, so dass ich nicht ganz bis ins Tal absteigen muss. Zwischen Kühen und Pferden hindurch, erreiche auf der anderen Teilseite wieder den Hauptwanderweg.
Richtung Seeböden und Scalettapass
Inzwischen regnet es. Ich wechsel in die Regenkleidung und beginne mit dem Aufstieg zum Cuolm S-chaletta. Der Weg ist auch als Mountainbikeroute ausgeschildert und entsprechend ausgebaut. Am Dischmàbach entlang geht es langsam nach oben. Ein Paar aus Davos kommt mir im strömenden Regen entgegen und fragt mich, wohin es gegen soll. Oben am Pass gebe es eine Schutzhütte oder ein Stück weiter gäbe es einen See. Und noch irgend etwas mit Kühen. Ich zweige zum See ab und finde eine ebene Stelle. Der Untergrund besteht aus kleinen Steinen und ein paar alte Kuhfladen liegen herum. Von der Verursachern ist nichts zu sehen. Ich baue mein Zelt auf und flüchte ins Trockene.
Es dauert nicht lange und Kühe kommen über den Hügel auf der anderen Flussseite. Vier vorwitzige Exemplare queren den Fluss und statten mir einen Besuch ab. Das Zelt wir inspiziert, scheint aber zu langweilig zu sein. Nachdem sie sich an einem Felsbrocken gescheuert haben, verschwinden sie wieder auf die andere Seite. Am Vormittag soll es morgen regnen. Bisher war das Wetter immer besser als vorher gesagt. Gegen 18 Uhr verschwinden die Wolken. Ein Wanderer mit großen Rucksack geht Richtung Pass. Es gibt sogar noch blauen Himmel über den Schwarzhorn. Die Kühe sind verschwunden und so denke ich nicht lange nach, ob ich doch noch etwas weiter gehen sollte. Zumal ich den anderen Wanderer in der Schutzhütte vermute.
Chamanna da Grialetsch
Lage: Val Grialetsch 46°42'36" N, 9°57'38" E
Öffungszeit: März/April und Juni bis Oktober.
Anzahl Betten: 61
Betreiber: Chamanna da Grialetsch
11.2020