Verregneter Morgen am Scaletta-Pass
Um 6 Uhr ist es noch trocken. Wenig später fängt es wie versprochen an zu regnen. Um 8 Uhr schaut die nächste Kuhdelegation vorbei. Diesmal sind es jedoch Mutterkühe mit ihren Kälbern, die sich vor meinem portablen Stall aufgebaut haben. Ich höre die Kuhglocken und das laute Ausatmen. Als sie beginnen mit ihrer Schnauze die Zeltleinen anzustupsen und damit zu lockern, fange ich an mit ihnen zu Sprechen. Vielleicht hilft es ja, dass ich sie verspätet um Erlaubnis frage. Zumindest lassen sie nun das Zelt in Ruhe, bleiben aber in unmittelbarer Nähe stehen. Ich lege mich hin und höre ein Flatsch. Das war ein neuer Kuhfladen direkt neben dem Zelt. Irgendwann wird das Zelt uninteressant und das Bimmeln der Kuhglocken umkreist mich in immer größerer Entfernung. Draußen regnet es weiter. Das Zelt war beim Einpacken feucht und es tropft immer wieder auf das Innenzelt.
Die Kühe sind inzwischen zurückgekehrt und haben sich auf den Kieseln am Seeufer hinlegt und beobachten mich. Ich beobachte sie. Ich koche etwas zu Mittag und als es gegen 12 Uhr aufklart, beginne ich einzupacken. Eine Wächterkuh steht jedoch direkt vor dem Zelt und passt auf. Sie steht da und guckt während das Kälbchen trinkt. Muttertiere sind nicht ungefährlich. Wenn sie eine Gefahr für ihr Kalb vermuten möchte ich keiner begegnen. Und so bin ich froh als sie sich als letzte Kuh auch endlich verabschiedet und ich das Zelt einpacken kann.
Über den Scaletta-Pass ins Val Funtauna
Ich komme um halb zwei los. Noch einmal prüfen, ob nichts liegen geblieben ist, dann gehe ich zum Weg zurück. Die Kühe verabschieden mich mit lauten Muhen vom Hügel auf der anderen Seite des Dischmàbach. Danke für die Gastfreundschaft, aber nochmal muss ich das nicht haben. Es ist trocken und ich kann in Windbreakerjacke statt Regenjacke gehen. Nach einer Stunde erreiche ich die einfache Schutzhütte auf dem Scalettapass (Cuolm S-chaletta). Es ist niemand da. Die Hütte ist sauber und hat zwei Tische und Bänke. Zudem gibt es in einer Nische eine Plattform zum Übernachten. Drei Fenster lassen Licht hinein und erlauben die Aussicht vom Pass ins Tal. Ich steige ab ins Val Funtauna, bleibe aber auf dem oberen, schmalen Bergwanderweg, da ich ins Val Sartiv möchte.
Der Bergwanderweg folgt der Höhenlinie am Steilhang entlang. Ich komme gut voran. Immer wieder ziehen Regenwolken durch die Täler und lassen die Berge verschwinden. Bei mir bleibt es aber trocken und ich bin ganz dankbar dafür. Der Wind ist ungemütlich genug. Auf halber Strecke gäbe es sogar die Möglichkeit ein Zelt aufzustellen, aber ich will möglichst in die Nähe der Seen Lai da Ravais-ch. Um halb fünf erreiche ich die Abzweigung. Ich kann bereits das Val dal Tschüvel entlang zur Keksch-Hütte schauen. Nun aber geht es an der Ova Sartiv entlang. Ich passiere die Abzweigung zum Sertig Pass. Das Gelände wird langsam flacher und ich sehe die ersten Zeltmöglichkeiten.
Zum Lai da Ravais-ch Sur
Um kurz nach fünf erreiche ich den See Lai da Ravais-ch Sur. Auf der angrenzenden Alp Ravais-ch Tuors soll es einen Herdenschutzhund geben. Ein Elektrozaun markiert am See die Grenze. Ich bleibe deshalb lieber auf der östlichen Seeseite. Direkt am Weg ist es flach, aber so auf dem Präsentierteller will ich nicht. Ich bin doch immer recht spät erst losgekommen. Ich umgehe am Ufer einen steilen Hügel und treffe auf eine aufgeschichtete Schutzmauer. Das Zelt passt nur quer zum Wind auf den Platz, also verlasse ich den See und erreiche wenig später den idealen Übernachtungsplatz für mich. Etwas versteckt, eben, trocken, etwas windgeschützt und ich kann auf Morgensonne hoffen. Und besonders wichtig, keine Kuhspuren weit und breit. Nachdem das noch nasse Zelt steht, hole ich aus einem Bach, der vom Piz Murtelet herunterkommt, Wasser. In der Zwischenzeit ist das Zelt vom leichten Wind getrocknet. Die Hände sind kalt und so gibt es einen heißen Tee zum Aufwärmen. Luftmatratze aufblasen, Schlafsack auspacken und schon ist es Zeit für ein deftiges Chili con Carne.
Ich schaue auf die Karte. Morgen wird es eine lange Strecke und eine Zeltmöglichkeit zu finden könnte schwierig werden. An der Kesch-Hütte vorbei, führt der Kesch-Trek 600 Höhenmeter hinab zur Alp digl Chants und weiter ins Val Plazbi. Ich hoffe im Anstieg zum Fuorcla Pischa einen Platz zu finden. Das letzte, was ich höre, ist wie es wieder kräftig anfängt zu regnen.