Zur Brücke über dem Čeakčajohka
Die Nacht war mit 8°C deutlich kühler als zuvor, aber ich habe gut geschlafen. Der Regen vom Vorabend hat sich verzogen und die Sonne scheint wieder. Für den Nachmittag sind Gewitter angesagt. Bis dahin will ich das Neasketvággi durchwandern. 2015 hatte ich in Ritsem mit zwei Schweden das Zimmer geteilt, die mir von dieser Route nach Hukejaure erzählt hatten. Im Jahr davor war ich mit einer Gruppe auf dem Nordkalottleden durch das nördlich liegende Čuhčavággi gewandert. Diesmal wollte ich durch das grüne Neasketvággi wandern und dann ins Čuhčavággi absteigen. Denn mein Ziel war nicht Hukejaure, sondern die Ebene westlich des Sälka-Massivs.
Gegen 8 Uhr beginne ich mit dem Abstieg am Bach entlang. Dieser bringt mich hinab in Richtung einer Rengärde unweit der Hängebrücke über den Čeakčajohka. Dahinter erhebt sich der Mádir. Nördlich der Rengärde ist ein Renstängsel in der Karte eingezeichnet. Diese Rentierzäune können je nach Bauart leicht oder schwierig zu queren sein. Beim Abstieg geniesse ich noch einmal den Ausblick auf die umgebenen Berge. Ich versuche Weidengestrüpp und Sumpfwiesen meiden und wandere möglichst über Heideflächen. Als ich mich dem Rentierzaun nähere, sehe ich dass er hier kein Maschendraht hat. Wenig später betrete ich den Platz der Rengärde. In dem Rengehege werden die Rentiere für die Scheidung zusammengetrieben. Nun hat der Zaun Lücken und ich kann das Gehege auf der anderen Seite wieder verlassen. Wenig später bin ich auf dem Kungsleden.
Der Čeakčajohka verschwindet hier in einer engen Schlucht. Solche felsigen Engstellen sind prädestiniert für eine Brücke, da die Ufer stabil und die Spannweite nicht so groß sein muss. Zwischen den Felsen schimmert das Rostrot der Brücke entgegen. Sie erinnert mich etwas an die Brücke über den Miellädno, allerdings ist diese in einem besseren Zustand. Das Geländer auf der anderen Seite ist etwas defekt, aber alles kein Problem. Ich steige zur Brücke ab, mache ein paar Fotos und schon bin ich drüben. Zeit für das zweite Frühstück. Zwischen den Felsen finde ich einen schönen, windgeschützen Platz. Von hier kann ich zum Kebnekaise blicken, der heute Morgen fast wolkenfrei ist. Auch was ich vom Siŋŋivággi sehe ist schneefrei. Hätte ich die Kebnekaisebesteigung doch versuchen sollen? Nun ist es zu spät und ich wäre bei einem Aufstieg heute auch noch lange nicht oben gewesen. Auf Solotouren lernt man sehr gut mit Entscheidungen leben zu lernen und nach vorne zu schauen. Dafür habe ich nun Zeit zur Unna Räitastugan zu gehen.
Bevor ich weiter wandere erklimme ich noch den Hügel hinter mir. Von dort habe einen schönen Blick nach Süden. Die einzelnen Häuser der Sameviste Goržževuolli stehen am Ufer des mäandernen Čeakčajohka. Dann fällen mir die Reste einer alten Brücke auf. Sie scheint an das andere Ufer zu reichen, aber die Bodennretter fehlen.
Über grüne Wiesen durch das Neasketvággi
Von der Brücke über den Čeakčajohka führen mich Steinmännchen durch Felsbänder und Sumpf. Dann sind die Wiesenhänge am Fusse des Mádir erreicht und der Boden wird trockener. Langsam steigt der Weg an der Südflanke des Mádir an, bis nach rund 2 Kilometern die Reisehöhe von 830 m Höhe erreicht ist. Ein deutlich sichbarer Pfad führt mich von nunan an der Nordseite des Tals entlang. Der Stuor Ruška (Rusjka) dominiert das Tal. Auf der südlichen Talseite fliesst rund 100 Höhenmeter unter mir ein Fluss, der das Tal entwässert.
Ich komme zügig voran. Auf den Wiesen blühen wieder gelbe Blumen und bringen so Farbe ins Spiel. Ich passiere eine Rengärde, die auf der Karte weiter unten im Tal eingezeichnet ist. Sie scheint nicht mehr gebraucht zu werden, denn es fehlt nicht nur der Maschendraht, auch viele Zaunpfosten sind verbogen. Rentiere sehe ich weiterhin nicht.
Auf Höhe des Stuor Ruška werden die Wiesen nasser. Deutlicher Indikator sind die immer mehr werdenen gelben Blumen und der Bewuchs mit Schachtelhalmen. Trotzdem gibt es wie befürchtet keine Bäche um mein Wasser aufzufüllen, dafür aber immer mehr Mücken. Eine Geländestufe gilt es nun zu erklimmen. Links und rechts von einer Erhöhung gibt es Schneefelder. Ich folge dem Pfad steil bergauf und stehe dann an einer mehreren Meter hohen Schneekante. Von weitern hatte ich schon gesehen, dass ich vermutlich links daneben aufsteigen kann, aber jetzt wo ich davor stehe, ist es doch verdammt steil. Oben angekommen kann ich auf den festen Schnee steigen und das Schneefeld queren.
Nun endlich habe ich einen freien Blick auf die Wand am Talende. Zeit für eine kleine Pause. Ich ziehe den Windbreaker an gegen die Mücken und betrachte die Steilwand. Es gibt tatsächlilch ein Schneefeld an der steilen Kante, aber rechts daneben, wo die Route lang gehen sollte, ist es schneefrei. Zwar habe ich nun einen freien Blick, aber der Pfad ist nicht mehr so deutlich zu sehen. Ich bin vermutlich zu hoch unterwegs. Das Gras wird höher und das Vorankommen ist beschwerlicher. Das nächste Schneefeld taucht auf und ich treffe wieder auf Steinmännchen und dem Pfad. Zudem ist hier der erste brauchbare Bach für Trinkwasser.
Ich folge dem Pfad bergan. Es sind noch rund 120 Höhenmeter bis zum Pass. Inzwischen ist es bewölkt. Wieder verliere ich den Pfad und als ich am letzten Steinmänchen stehe und nach einer guten Route ausschau halte, steht plötzlich ein junger Man hinter mir. Das Gesicht von Mücken blutverschmiert grüsst er freundlich. Er hofft im Westen weniger Blutsauger vorzufinden. Die Quälgeister werden immer lästiger und so schreitet er voran. Er ist deutlich schneller und steuert direkt auf das Schneefeld an der Steilwand zu, um dort aufzusteigen. Er legt oberhalb der Wand seinen Rucksack ab und läuft umher, als würde er telefonieren.
Als ich ans Schneefeld komme, ist es mir viel zu steil. Ich orientiere mich an den Steinmännchen, die im Zickzack auf der nördlichen Seite (östlich der Felsen) über Grasflächen hoch führen. Für mich ist es der deutlich einfache Weg den Pass zu erreichen. Unter den Blicken des Wanderers steige ich auf. Oben angekommen, blicke ich noch einmal zurück zum Neasketvággi. Der blaue Himmel ist inzwischen überall verschwunden.
Vor mir liegt ein enges Hochtal. Auf der südlichen Seite erhebt sich der Unna Ruškkaš, an der Nordseite eine namenlose Erhebung. Nach Westen geht es an mehreren Seen vorbei, bis das Ráktasvággi beginnt. Das Tal entlang kann ich bis zum Álitoajvve an der Ostseite des Sitasjaure blicken.
Es ist 13:30 und langsam Zeit für die Mittagspause. Ich folge dem engen Tal, um am östlichsten See Mittag zu essen. Das Ufer ist feucht und nachdem ich eine Engstelle passiert habe, überholt mich der junge Mann erneut. Wieder geht es über ein Schneefeld. Als ich mich dem nächsten See nähere, finde ich einen trockenen Platz für eine Pause. Das schöne Wetter ist allerdings vorbei und es sieht mehr nach Regen aus. Während ich überlege, ob ich meinen Kocher auspacken soll oder nicht, höre ich es donnern. Was nun?
Auch wenn es noch früh ist und ich erst 11 Kilometer zurückgelegt habe, entschliesse ich mich nach einem Zeltplatz umzuschauen. Zumal der See P956, von dem ich zum Čuhčavággi absteigen will, nicht mehr soweit entfernt ist. Das Westufer des nächsten kleinen Sees ist mit einem Schnee/Eisfeld bedeckt. Dahinter liegt ein viel versprechender Hügel. Auf dem Weg dorthin fängt es an zu nieseln, was meine Ansprüche an einen guten Zeltplatz verringert. Der Untergrund ist gut, fürs Wasser muss ich etwas gehen. Es tröpfelt inzwischen. Trotzdem nehme ich mir Zeit einen ebenen Platz zu finden. Das erinnert irgendwie wie an einen Hund, der sich mehrmals umdreht, bevor er sich legt. Kaum steht das Zelt, gibt es einen Windstoß und der Regen hört erst einmal auf. Ideal um Wasser aus dem Seeabfluss zu holen.
Zurück am Zelt esse ich. Ich trinke gerade gemühtlich Tee, als es richtig laut kracht. Dann platscht es hinter dem Zelt. Es dauert etwas bis ich kapiere, das sich gerade ein Stück vom Eis abgetrennt hat und ins Wasser gefallen ist. Wie bei einem kalbenen Gletscher. Als ich rausschaue, sehe ich eine neue Eisscholle im See. Zwar regnet es noch einmal kräftiger, vom Gewitter bleibe ich allerdings verschont.